
Die Vegetarierin – Han Kang
Ein genauerer Blick auf das Cover hätte es erahnen lassen können. Eine Zunge, ein rohes Stück Fleisch, eine Schmeißfliege inmitten zarter Blütenkelche – hier sind Leben und Vergänglichkeit, Schönheit und Grausamkeit miteinander verwoben zu einer Art Vanitas-Gemälde, das seinen morbiden Schatten vorauswirft.
Doch ich hab es nicht gesehen. Stattdessen ließ ich mich vom Buchtitel wie von einem harmlos flackernden Irrlicht blenden. Als ich endlich merkte, dass Han Kang mich geradewegs in einen düsteren Wald voller Schreckgespenster führte, in dem nichts ist, wie es scheint, hatte ich mich schon hoffnungslos im Gestrüpp verfangen.
„Ich hatte einen Traum.“ Mit diesem Satz beginnt die Tragödie einer jungen Frau, die an der Welt zerbrochen ist und sich in Folge dessen immer mehr aus dieser zurückzieht.
Erzählt wird ihre Geschichte in drei Teilen – aus der Perspektive ihres lieblosen Ehemanns, ihres obsessiven Schwagers und ihrer überforderten Schwester. Yong-Hye selbst kommt nur selten zu Wort, wenn sie beispielsweise von ihren beängstigenden Träumen erzählt, die der Grund für ihre Nahrungs- und irgendwann auch für ihre Realitätsverweigerung sind.
Bald erkennt man, dass die Träume zwar der Auslöser sein mögen, ihr Umfeld aber fleissig einen Katalysator aus Unverständnis und Ablehnung bastelt, der Yong-Hyes destruktives Verhalten noch zusätzlich befeuert. Am Ende der Geschichte bleiben mehr Fragen als Antworten und ein wirres Gefühl der Hilflosigkeit.
„Hätte sie dies alles verhindern können? Verhindern können, dass sich Leid unbemerkt bis in Yong-Hyes Knochen fraß?“
Die Vegetarierin
Ich muss zugeben, mit meinem Kandidaten aus der Kategorie *nicht europäisch, nicht amerikanisch* hatte ich so meine Mühe. Trotz der nur knapp 200 Seiten, zog sich das Lesen über Wochen. Immer wieder musste ich das Buch zur Seite legen, um Luft zu holen. Zu bedrückend, zu verstörend, zu abstoßend! Warum ich dennoch zu Ende gelesen habe? Eine Mischung aus Neugier und befremdlicher Faszination. Denn wohin sich die Geschichte entwickelt, ahnt man zwar irgendwann – die Idee ist dennoch so obskur, dass man sich von teilweise seltsamen Sexszenen und unappetitlichen Gewaltmomenten nicht abschrecken lassen sollte. Ein Buch wie ein kafkaesker Fiebertraum. Eine Autorin, die mich neugierig auf mehr gemacht hat, auch wenn ich vermutlich eine längere Verdauungspause brauchen werde, bis ich zum nächsten Han Kang Roman greife.
Welches Buch hat euch zuletzt schwer im Magen gelegen? Habt ihr manchmal auch so eine masochistische Ader, was verstörende oder deprimierende Romane betrifft? Hinterlasst mir gerne einen Kommentar.