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Rezension „The Terrible“

Das bisher ungewöhnlichste Buch meiner 2020-Challenge kommt von der britischen Autorin Yrsa Daley-Ward. Was als unbedarfte Coverliebe auf den ersten Blick begann, wurde schnell zu einer wilden Achterbahnfahrt, die ich so schnell nicht vergessen werde.

Doch der Reihe nach.

Ich kannte Yrsa Daley-Ward nicht. Ich wusste nichts von ihrem Insta-Fame als Poetin und ihren mehr als 150.000 Followern. Womöglich hätte mich das auch nur abgeschreckt, denn mit Social-Media-Lyrik kann ich nur wenig anfangen und Hypes jeglicher Art machen mich misstrauisch (Call me grumpy old Kartoffel).
Völlig unvoreingenommen schlug ich deshalb ihre Memoiren auf und ließ mich – überrascht von der Welle, die mich kurz darauf erfasste – von ihren Worten davontragen. 

„The Terrible“ erzählt vom viel zu frühen Erwachsenwerden. Vom Suchen und Finden, vom Festhalten und Loslassen, aber vor allem von der Sehnsucht irgendwann, irgendwo dazuzugehören. 

Hineingeboren in eine Welt, in der kein Platz für sie zu sein scheint – die Mutter bemüht, aber schlichtweg überfordert, der Vater ein Phantom, die Großeltern dermaßen in ihrer rigiden Religiosität gefangen, dass sie jeden mit ihren Regeln zu ersticken drohen – bildet Yrsa mit ihrem kleinen Bruder eine Zweisam-Insel im weiten Meer familiärer Gleichgültigkeit.

The terrible needs to eat and it eats whole lives up in one sitting.

„Das Schreckliche“ – das ist das Gefühl der Leere, der Hilflosigkeit. Verloren treibt Yrsa durch ihre Jugend, die destruktive Kraft des Ungreifbaren als ständigen Begleiter an ihrer Seite. Sie sucht Halt in bedeutungslosem Sex und sinnlosen Drogentrips.
Nachdem sie mehr verloren hat als sie  verkraften kann, konfrontiert sie schließlich „das Schreckliche“ und stellt ihm endlich die Fragen, die sie schon so lange quälen.

Doch das Besondere an dem Buch ist nicht unbedingt das WAS, sondern das WIE – dieser für eine Autobiographie höchst ungewöhnliche Stil.

Mal nüchtern sachlich, mal magisch poetisch, aber immer bezaubernd authentisch … Yrsa Daley-Ward springt vom Ich zum Du, vom Tatsachenbericht zum lyrischen Gesang und entfesselt so einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Mit sanfter Feder kitzelt sie die Emotionen hervor, nur um kurz darauf mit dem verbalen Vorschlaghammer auszuholen. Manchmal ist es ein unscheinbarer Vierzeiler, dessen stimmgewaltiges Echo noch seitenlang nachhallt, manchmal nur ein einziger Satz.

Mich hat dieser spannende Mix sehr beeindruckt, und auch wenn mich einige Passagen im Mittelteil aufgrund ihres repetitiven Charakters beim Lesen etwas angestrengt haben, so muss ich meine Einstellung gegenüber gehypten Instagram-Poeten wohl letztendlich doch nochmal überdenken.

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